Donnerstag, 26. Oktober 2017

#MeNot


Im fünfzehnten Jahrhundert  konnte man im Sittenbüchlein des Klosters Bursfelde lesen, was man den deutschen Damen zu sagen hatte und wohl sagen musste: Ein Fräulein von Stand soll aber die Butter nicht mit dem Daumen aus Brot streichen, soll auch die Suppe nicht laut vom Teller schlürfen wie ein Kalb, sondern leise wie eine Jungfrau, und soll die Finger nicht bis ans Handgelenk in die Brühe tauchen!

Das hat eine Freundin mir dieser Tage gemailt, um mich zu erheitern. Die Freundin habe ich vor vielen Jahrzehnten – wir waren beide erst 22 – als anmutige junge Frau wahrgenommen und ihr das gesagt, obgleich wir einander nicht kannten. Sie war keineswegs beleidigt und wir hatten ein schönes halbes Jahr zusammen. Und nun sind wir längst wieder in teilnehmender Verbindung.

Viele heulten mit den Wölfen oder liefen mit den Schafen bei der Verfolgung von
Katholiken (unter Bismarck), Sozialdemokraten (unter Kaiser Wilhelm II.), Juden (unter Hitler), Kommunisten (unter Adenauer), Imper’listen (unter Ulbricht).
Viele heulen mit den Wölfen oder laufen mit den Schafen bei der Hetze gegen den Kreml (Medien), gegen Peking (Medien), gegen Rechtskonservative (Medien), und neuerdings gegen Männermacht in der „Männerwelt“ von Film, Musik, Politik undsoweiter; die Liste scheint vorerst nicht enden zu wollen. #MeToo unleashed hat die International New York Times am 23. 10. 2017 getitelt.

Zum letzten Punkt möchte ich einige Erfahrungen beisteuern. Bei der Besprechung eines Drehbuchs im Büro eines Filmproduzenten saß ich in dessen Büro, als der Anruf einer bekannten deutschen Filmschauspielerin einging und von seiner Sekretärin entgegen genommen wurde. Diese richtete aus, der Filmstar erwarte ihn am Drehort und bitte ihn, zu kommen. Sie friere und müsse von ihm warm gerubbelt werden, um weiterarbeiten zu können.
Der Produzent ließ ausrichten, er lasse sofort eine Heizdecke und heißen Tee schicken.
Mit anderen Worten, man kann Nein sagen – das gilt beiderseits.
Ich habe immer abgelehnt, wenn mir Förderung unter Bedingungen angeboten wurde, die sich mit meinen Vorstellungen von persönlichem oder beruflichem Anstand nicht vertrugen. Gewiss hat das öfters zu voraussehbaren Nachteilen geführt. Aber ich bin nie gezwungen worden, etwa mit Gewalt.
Beim Jahresempfang eines bedeutenden Literatur-Agenten stellte eine Verlegerin ihren jungen Begleiter mit den Worten vor: „Das ist mein Jungbrunnen“. Und nannte dessen Vornamen.
Der junge Mann wusste sichtlich nicht, wie er reagieren sollte.
Die Situation war aber auch für uns Umstehende peinlich. Was soll man tun, wenn ein Machtmensch einen Abhängigen quasi scherzhaft zu beleidigen scheint? Und ist es tatsächlich wichtig, ob der Machtmensch ein Mann oder eine Frau ist?
Beleidigung, Nötigung und Vergewaltigung sind Straftatbestände. Kindesmissbrauch erst recht.
Taktlosigkeit aber ist nicht strafbar und dennoch verletzend.
Was nachträglichen Mut betrifft, bin ich skeptisch, besonders wenn er massenhaft auftritt.
Einst war es offenbar von Vorteil, sich der Macht zu beugen. Jetzt ist es von Vorteil, Macht anzuklagen.

Auf den Vorteil scheint es anzukommen. 

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