Freitag, 29. April 2016

Attentat mit Ansage

Eigentlich habe ich die Talkshow von Sandra Maischberger nur eingeschaltet, weil ich auf Gregor Gysi gespannt war. Eingeladen war ja mit Frau von Storch eine prominente Vertreterin der rechtsorientierten Alternative für Deutschland. Ich war sicher, Gysi würde sie mit einer politisch linksorientierten Alternative für Deutschland konfrontieren - ja, mehr noch: Er würde endlich eine linke Opposition gegen die absehbaren Folgen der Regierungspolitik vorstellen und überzeugend vertreten.
Enttäuschung auf der ganzen Linie. Er hat sich damit begnügt, die Konkurrenz zu beschimpfen und die Dame, die ihm gegenüber saß, sogar zu bepöbeln. So etwas schockiert mich. Besonders, wenn "einer von uns" es tut. Denn "wir" tun so etwas nicht, meine ich. Und dass es politisch falsch ist, kann man am Niedergang der bayerischen SPD studieren. Statt eigene Programme zu vertreten, beschimpfen und beleidigen bayerische Sozialdemokraten die CSU schon seit Jahrzehnten, und wo stehen sie? Unter 20 % jetzt in manchen Umfragen.
Noch ärger hat es bei Maischberger ein Publizist namens von Lucke getrieben, der die Kontrahentin sogar immer wieder niedergeschrien hat -was sie mit großer Ruhe und Würde, wie mir schien, über sich ergehen ließ. Dass ihr unterstellt wurde, was sie weder gesagt noch gemeint hat, und haften sollte für Äußerungen von Parteifreunden, die falsch interpretiert wurden - also für Missverständnisse -, schien sie nicht anders erwartet zu haben.
Sie erwartet von uns, fürchte ich, was unsereins von den Rechten erwartet - Grobheit bis zur Rüpelei, Feindseligkeit statt Neugier, Verleumdung statt Wahrhaftigkeit. Die beiden Herren entsprachen ganz und gar ihrer Erwartung, sie ganz und gar nicht unserer. Sie entstammt katholischem Hochadel und versteht sich zu benehmen, was ich nicht tadeln mag. Juristin ist sie außerdem und als Rechtsanwältin tätig gewesen, weiß also: Beleidigungen anstelle von Beweisen erweisen sich vor jedem Gericht als kontraproduktiv.
Es war eine beklemmende Vorstellung. Ich fühle mich ganz und gar abgehängt von dieser Art Mainstream. Niemals würde ich so mit einem politischen Gegner reden, dessen Argumente ich widerlegen will. Man gibt ihm ja recht, wenn man nichts Besseres zu bieten hat als "Du widerst mich an". Denn darauf lief es hinaus. Sogar die Miene der Gastgeberin Maischberger drückte Ekel vor der Eingeladenen aus, der sie als Schlusspointe vorhielt, sie hätte der Einladung eigentlich gar nicht folgen dürfen. Aber hätte die MdE ihr Erscheinen verweigert, wäre sie als feige denunziert worden!
Sie war nur eingeladen worden, um beleidigt, und nicht, um widerlegt zu werden.
Die Vorgänge nicht nur in dieser einen Talkshow erinnern mich - ich bin alt genug - an die  Medienhetze, die in den 60er-Jahren gegen Rudi Dutschke entfesselt wurde. Als dann ein armes Kerlchen sich entschloss, den Exekutor der Springer-Presse zu machen, und Dutschke niederschoss, bekamen wir den Deutschen Herbst.
Ein Attentat mit Ansage war es, was ich bei Maischberger gesehen und gehört habe, mit steigendem Entsetzen. Hetze und Hass wie in dieser Talkshow gegen Beatrix von Storch müssen irgendwann irgendjemanden veranlassen, zur Waffe zu greifen. Wir - die Guten - wollen Blut vergießen. Nicht nur im Fernen und Nahen Osten, nicht nur im Osten Europas, auch hierzulande. Und immer im Namen der  Menschenrechte.
Macht stumm! Schaltet aus! Beseitigt! Tötet! Tötet! Tötet! Das ist die Botschaft. Und sie kommt aus unserem Lager.
Ein weiterer Deutscher Herbst steht bevor. Ich denke an die Mahnung Hans-Jürgen Krahls, dass in unseren Aktionen humanitäre Ziele aufscheinen müssen. Das nämlich ist es, was uns von extremistischen Fanatikern unterscheidet.

 

Mittwoch, 27. April 2016

Educating Fritz

Ich erinnere mich an das Umerziehungsprogramm der Alliierten nach dem Sieg über Nazi-Deutschland. Es war durchaus anspruchsvoll und wollte vor allem junge Menschen an die vielen positiven Traditionen ihrer deutschen und der europäischen Geschichte erinnern. Doch in der flapsigen Alltagssprache wurde es EDUCATING FRITZ genannt. Wir Angehörigen der jungen Generation ließen es uns lachend gefallen. Weniger lustig finde ich, dass wir Alten heute unentwegt wieder und weiter von unseren Mainstream-Eliten erzogen werden, als wären wir, was wir nicht sind, alte Nazis. Eigenartiger Erziehungswahn!
Wir sollen lernen, dass Demokratie ein Staat ist, in dem Opposition gegen den Mainstream der politischen und publizistischen Eliten entweder als linkspopulistisch oder als rechtspopulistisch oder als lächerlich zu vermeiden ist. Da ich nun aber gelernt habe, oppositionelle Stellungnahmen als Anregung zur Überprüfung eigener Positionen zu begreifen, finde ich mich selbst in der unbehaglichen Rolle des Fritz wieder, der Demokratie erst noch lernen muss.
Die Amerikaner haben mir damals keine Beleidigungen zugemutet. Das Amerikahaus bot Lesegenuss mit Zane Grey und die Autobiografie von Benjamin Franklin. Der amerikanische Soldatensender AFN bot Bing und Elvis, Armstrong und Gene Autry. Und Hollywood - mein Gott, waren das beseligende Träume, wenn Errol Despoten besiegte und Bogart ihnen in Casablanca trotzte.
Ich habe es gewagt, mir über Anklagen gegen die AfD eigene Gedanken zu machen und mich in eine Sendung des WDR im Fernsehen einzuschalten. Da wurde Frauke Petry zitiert. Sie sagte, wir dürften uns Worte wie "Volk" nicht wegnehmen lassen, fast alle anderen Völker gebrauchten es.
Unser Mainstream hat offenbar Angst, so ein Wort würde den kleinen Nazi, den kleinen Fritz, in mir wecken. Andererseits fiel mir ein, was ich von den Amerikanern übernommen habe (außer Jeans und Selbstbewusstsein). Es ist das Bewusstsein, dass mir vom Schöpfer unwiderrufbare Rechte zugewiesen sind. Diese "heiligen Zeilen", wie ich sie gerne nenne, werden eingeleitet von einem Satz, in dem das Wort "Volk" vorkommt. Wenn im Verlauf menschlichen Verhaltens ein Volk sich genötigt sehe, die Bande zu einem anderen Volk zu lösen ...
Thomas Jefferson hat die Declaration of Independence verfasst. Ist er ein kleiner Nazi, weil er dieses Wort gebraucht?!
Ferner wurde in der WDR-Sendung ein Europa-Abgeordneter des Rechtspopulismus beschuldigt, weil er für ein Europa der Vaterländer wirbt. Hat das nicht auch Charles de Gaulle getan? Der hat die Nazis bekämpft!
Und auch er, erinnere ich mich, hat mich nicht als kleinen Fritz beleidigt, als ich ihn in München sprechen hörte. Ich stand in einer Menge von wohl zweihunderttausend und hörte ihn sagen, er sei spreche zu einem großen Volk ... wieder dieses Wort! 
Die Menge schien zu verstummen, schien es nicht glauben zu können. Da wiederholte er: Jawohl, einem großen Volk - und ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Es war wie eine Befreiung, als hätte er die eisernen Bande gelöst, die wir um unser Herz gelegt hatten, damit es nicht zerspringt beim Gedanken an die furchtbaren Greuel, für die wir zu haften haben - weil wir ein Volk sind.
Auch er ein Böser, ein Rechtspopulist? Und Malraux, der ihn als Johanna von Orleans bezeichnete und der im spanischen Bürgerkrieg eine Flugzeugstaffel gründete und an der Seite der Antifaschisten in den Kampf führte - Rechtspopulist? Linkspopulist? Abweichler vom Mainstream ist er immer gewesen.
Das also sind nun meine Vorbilder - meine role models. Und das soll mich zu einem bösen, schlechten Menschen machen?
Ich verlange Information statt Polemik. Wie ich es gelernt habe.

Donnerstag, 21. April 2016

Untreue

Ich denke nach (das passiert mir manchmal), und zwar über einen zweiteiligen Film von ?? Fechner, in dem die Comedian Harmonists ihr Leben erzählen. Der Film endet mit einem Lied über Untreue:
Mir scheint, wir selbst sind untreu geworden - unserer Identität, unserer besten Tradition, unserer - naja: Seele ... Wir haben sie an AH verkauft und nicht zurück bekommen. Und seither suchen wir sie. Bei den Amerikanern. Aber auch die sind sich untreu geworden und haben, scheint mir, ihre Seele verkauft. Weiß Bernie Sanders, wo sie wiederzufinden wäre? Ich denke jetzt an Anne Frank, das schöne Kind, und an Esther Hillesum, die schöne junge Frau, und lausche den Comedian Harmonists.