Donnerstag, 4. August 2016

Siebzehnter Brief

Eine moralische oder kritische Position nachträglich zu korrigieren, ja als verfehlt einzugestehen, überfordert die allermeisten Intellektuellen. Sie finden diese und jene und noch eine Entschuldigung für sich. Doch es gibt Ausnahmen. So eine habe ich heute früh in einem Fernsehinterview bewundernd zur Kenntnis nehmen dürfen. Die Sendung war ein Rückblick auf Huntingtons vor zwanzig Jahren erschienenes Buch "Clash of Civilizations". Ein Professor für ostasiatische Studien, Abt. Vergleichende Literatur, an der New York University, gestand offen ein, er habe damals zu den vehementesten Kritikern Huntingtons gehört und müsse zugeben: Huntington "was right, I was wrong". H. hatte recht, ich unrecht.
Kaum jemand von uns kann das. Wir verteidigen unseren geistigen Besitz so verbissen und wütend wie nur irgendein Kleinbürger seinen Geldbesitz. Ausnahmen sind rar und nur den geistig aktivsten Menschen überhaupt möglich. Sie ernten gewöhnlich die hämische bis beleidigende Reaktion einer geistig versifften Umwelt. "Mann über Bord" titelte ein Blatt, nachdem Thomas Mann aus seinen politischen Illusionen während des Ersten Weltkrieges die Schlussfolgerung gezogen hatte, die Zukunft der deutschen Jugend liege bei der patriotischen Versöhnlichkeit der sozialen Demokratie und nicht beim fanatischen Nationalismus der Fememörder.
Man unterstellte schnöden Opportunismus. Was gibt dir denn der politische (geistige, ideologische, religiöse usw.) Gegner dafür? Muss sich wohl lohnen, wie?
Doch es gibt Menschen, deren Lebensleistung für etwas ganz anderes steht als für Käuflichkeit. Wer das nicht wahrzunehmen vermag, dem fehlt wohl etwas an der inneren Ausstattung, die wir bei Menschen von Anstand vorausssetzen.

Nun konkret zu einigen Thesen Huntingtons, die Prof. Zhang Xudong heute anders sieht als damals.

Wenn große Staaten lange und ungeschützte Grenzen miteinander haben, wie Rußland und die Ukraine, so sei es wohl möglich, dass sie in Harmonie miteinander leben lernten - doch es wäre sehr ungewöhnlich. Schrieb Huntington.
Fast prophetisch, nicht?

In China und den westlichen Ländern habe man sich versprochen, dass durch Fortschritt die althergebrachten gesellschaftlichen Gegensätze allmählich zum Ausgleich führen würden. Nicht so im Mittleren Osten. Der Islam sei von seiner kulturellen Superiorität überzeugt und traumatisiert von seiner Inferiorität in der Welt.
 Prof. Xudong findet es furchteinflößend, dass viele Mosleme aus Nordafrika ihrer als überlegen empfundenen Kultur auch dann treu bleiben, wenn es den Verzicht auf materiellen Fortschritt mit sich bringt. Huntingtons Buch  habe die USA dringend aufgefordert, mit den islamischen Staaten zu leben und nicht gegen sie, die moslemische Identität zu respektieren und nicht durch eine westliche ersetzen zu wollen - gar gewaltsam.
Nun erlebt man, dass junge Mosleme nicht nur elendes Leben, auch hoffnungsvolle Karrieren opfern, um ihre Identität und die ihrer Glaubensbrüder zu behaupten.
Huntington habe die wirklichen Probleme benannt und nicht schöngeredet - als sie noch lösbar gewesen wären. Und jetzt, und inzwischen - ?

Dass der Islam den Indonesiern friedliches Zusammenleben ermöglicht, habe womöglich damit zu tun, dass der Westen in Indonesien lange nicht mehr militärisch interveniert hat. Meint der Professor.   

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