Samstag, 16. Juli 2016

Vierzehnter Brief

Freundlicher Umgang

Ich zerstöre auf diesem Blog meinen zuvor guten Ruf, meint ein Freund, dem ich viel verdanke – nachdem er mir per E-Mail mitgeteilt hat, ich sei entweder so dumm, mich von Putins Propaganda irreführen zu lassen, oder ein Mietmaul, also einer, der sich von Putin bezahlen lässt, irreführende Propaganda über weltpolitische Vorgänge zu verbreiten.
Wie verletzend solche Vorhalte sind, und wie irrig dazu, bemerkt mein Freund nicht.

Irrig in vielerlei Hinsicht. Zunächst einmal äußere ich mich keineswegs zur Weltpolitik – sondern zum öffentlichen Diskurs darüber. Er ist vergiftet durch Verdächtigungen, wie mein Freund sie gegen mich richtet.

Aufgefallen ist es mir zuerst, als eine Fernsehkorrespondentin bei Verleihung eines Preises erklärt hat, die Kritiker ihrer Berichterstattung seien entweder irrgeführt oder bestochen. Mit anderen Worten, Kritik an ihrer Berichterstattung entbehre seriöser Grundlage. Dafür den Joachim-Friedrich-Preis? Ich mochte es kaum glauben.

Seither gehört es zur alltäglichen Berichterstattung unserer westlichen Medien (soweit ich sie kenne, das sind BBC, CNN und die wichtigsten deutschen Zeitungen, gelegentlich die International New York Times) – es ist Routine, sage ich, Kritik an der Politik der Nato als Putins Propaganda zu bezeichnen. Entweder man ist dumm, weil man drauf hereinfällt, oder hat sich kaufen lassen.

Als mein Freund, dem ich über Jahrzehnte und bis in die jüngste Zeit viel zu danken hatte, erstmals solche Verdächtigungen äußerte, richteten sie sich nicht nur gegen mich. Ich hatte mich auf Aussagen der sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Helmut Schmidt bezogen, auf Willy Brandts Berater Egon Bahr und auf Peter Scholl-Latour, den Helmut Schmidt als einen von einer Handvoll Vertrauten bezeichnet hat.

Mein Freund nun also bezeichnete Gerhard Schröder als Gazpromhure, Helmut Schmidt als Oberzyniker, und Scholl-Latour als jemand, der wohl noch aus dem Grabe die Welt erklären werde – als ewigen Besserwisser, verstand ich. Andere, auf die ich mich bezogen hatte und die ich für seriös hielt und halte, hat er in ähnlichem Tonfall niedergemacht.

Nun – in unseren Kreisen redet man so nicht. Mit mir schon gar nicht. Ich dachte zunächst, mein Freund müsse an einer Art Tourette-Syndrom erkrankt sein, und bat ihn, seinen Ton zu überprüfen. Er überschreitet nun mit der Verdächtigung, ich sei ein Mietmaul Putins, erneut die Anstandsgrenze.

Es ist aber – wie gesagt – nicht nur ein privates, es ist ein gesellschaftliches Problem. Unser öffentlicher Diskurs ist vergiftet von Verdächtigungen und Denunziationen. Intelligentes Abwägen alternativer Standpunkte, was Allen Dulles als „educated guess“ bezeichnet hat und was die eigentliche Aufgabe informativer Berichterstattung wäre, ist außer Kurs geraten – zu meiner größten Bestürzung nicht nur auf der Rechten (da hatte ich es erwartet), sondern im linken Lager, dem ich mich zurechne und dem auch mein Freund sich, wie ich annehmen darf, zugehörig fühlt.

Ich fühle mich gemobt. Wie wehrte man sich gegen Mobbing – durch einen Freund?!
Wäre es ein Gegner und ich eine öffentlichere Person, könnte ich auf Unterlassung klagen. Aber einem Freund gegenüber? Da ich keinen Wert darauf lege, das letzte Wort zu behalten, werde ich bezüglich meiner publizistischen und charakterlich-moralischen Integrität keine Mitteilung an ihn richten.

Mir ist keine andere Antwort eingefallen als ein Zitat.

An Friedrich Gottlieb Klopstock

Weimar d. 21. Mai 1776.
Verschonen Sie uns ins Künftige mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen nichts, und machen uns immer ein paar böse Stunden.
Sie fühlen selbst daß ich nichts darauf zu antworten habe. Entweder müsste ich als Schul Knabe[63] ein pater peccavi anstimmen, oder mich sophistisch entschuldigen, oder als ein ehrlicher Kerl vertheidigen, und dann käm vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von allen Dreien heraus, und wozu?
Also kein Wort mehr zwischen uns über diese Sache! Glauben Sie, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe, wenn ich auf all' solche Briefe, auf all' solche Anmachungen antworten sollte. – Dem Herzog thats einen Augen Blick weh, daß es von Klopstock wäre. Er liebt und ehrt Sie. Von mir wissen und fühlen Sie eben das. – Graf Stolberg soll immer kommen. Wir sind nicht schlimmer, und wills Gott, besser, als er uns selbst gesehen hat.
G.

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