Mittwoch, 22. Juni 2016

Achter Brief

Neue Ostpolitik
22.06.2016 10:51
Von
Michael Molsner <heiner_michael-molsner@t-online.de>
An
politik@nrz.de <politik@nrz.de>


Sehr geehrter Herr Kollege Jessen,

als langjähriges Mitglied der SPD habe ich nach der Warnung des Außenministers vor Kriegsgeheul und Säbelrasseln an der Grenze Russlands endlich wieder einmal Grund zur Freude an meiner Partei.
Wie viele andere Sozialdemokraten (u.a. Helmut Schmidt) fordere ich seit langem den Ausstieg aus der Sanktionspolitik gegen Russland. Das Land wirtschaftlich zu strangulieren, militärisch einzukreisen und politisch zu isolieren, halte ich politisch für falsch, militärisch für gefährlich und wirtschaftlich für selbstschädigend. Außerdem leide ich darunter, in meiner nrz morgens lesen zu müssen, mit welcher Vehemenz Sie meinen Standpunkt - der nicht nur der meine ist - denunzieren. Sie beleidigen damit einen Ihrer Abonnenten. 
Begriffe wie "Putin-Versteher" oder gar "putinesk" quälen mich körperlich. So etwas sagt man nicht.
Was soll ich nur tun? Wie kann ich mich wehren? Eine andere Zeitung abonnieren? Aber die gesamte hier erhältliche Tagespresse ist aus Gründen, die nicht mitgeteilt werden, auf Nato-Kurs gleichgeschaltet.
Mein Protest wird nichts nützen. Sie haben Ihre Weisungen, fürchte ich - aber von wem nur? Wer zwingt oder nötigt Sie, immer wieder einen einzigen "spin" zu wiederholen, den der Nato? 
Ich fühle mich hilflos, als Ihr Abonnent wehrlos, als Bürger entmächtigt und, wie es scheint, systematisch falsch - weil einseitig - informiert.
"Wir leben in einer Vorkriegszeit", warnte Egon Bahr. In Ihrem heutigen Kommentar denunzieren Sie Warnungen wie diese als sentimentalen, unzeitgemäßen Unsinn. Sie wissen es besser? Verstehen mehr von Außenpolitik? Mehr sogar als Henry Kissinger? Als Peter Scholl-Latour?
Das möchten Sie glauben machen. Ich glaube Ihnen das nicht.
Und jetzt? Ab in den Papierkorb?

Mit allem Respekt - wie amerikanische Diskussionspartner gerne sagen, wenn sie widersprechen - "I disagree".

Michael Molsner


Homepage: www.michaelmolsner.de
Blogs: http://presse-mike2.blogspot.de




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